Lange Zeit schien das Interesse am Medium der Zeichnung fast vollstandig erlahmt. Nicht nut an den Kunsthochschulen gait die Beschaftigung mit Zeichnung immer mehr als obsolet, auch im Ausstellungsbetrieb spielten zeichnerische Positionen allenfalls eine Nebenrolle. Im Kontext einer in Wellen immer wieder in den Betrieb hineinschwappenden Grofsmalerel seit den achtziger Jahren, installativ erzahlerischer Entwurfe, die auf eine suggestive Einbeziehung des Betrachters zielten, und im Kontext des Booms einer unverhohlen um die Auratik des Tafelbilds buhlenden Fotografie, wirkte Zeichnung in ihrer intimistischen Sparsamkeit marginal und nahezu anachronistisch. Erst in den letzten Jahren richtet sich der Fokus wieder verstairkt auf dieses chronisch unterschaitzte Medium. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Moment einer unmittelbaren Direktheit, gepaart mit dem Charakter des Skizzenhaften und Fragmentarischen als zentraie Strukturelemente der Gattung.
Das Projekt "Tauchfahrten" knopft in gewisser Weise an dieses wieder aufgeflammte Interesse am Medium der Zeichnung an, argumentiert abet yon einer Richtung her, die bis lang in der Diskussion des Zeichnerischen eher eine untergeordnete Rolle gespielt hat, dem Aspekt der Reportage. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht dabei die Frage, was die Zeichnung im wortwortlichen Sinne zurOckbringt, wenn sie konkrete Ereignisse und Situationen protokolliert. Mit dieser Perspektivierung hin auf das Moment einer visuellen gerichterstattung gerat automatisch das Verhaltnis yon Zeichnung und Fotografie in den Blick. Ohne den mediaien Paradigmenwechsel in Frage stellen zu wollen, mit dem die Fotografie seit Anfang des 20. Jahrhunderts sukzessive das gezeichnete Nachrichten-Bild ersetzte, macht die Ausstellung ebenso deutlich, wie zeichnerische Re-Portagen eine Dimension des Realen hervorzubringen vermogen, die im fotografischen Diskurs strukturell unsichtbar bleiben muss.
STEPHAN BERG / ULRIKE GROOS
Vorwort / Preface
CLEMENS KRUMMEL
ES reicht zu zeichnen:
Moglichkeiten der Reportagezeichnung/
Drawing's Enough:
Potentials of Reportage Drawing
JOACHIM REES
Die verzeichnete Fremde (Auf-)Zeichnen 18oo-19oo /
The Recorder Other: Ethnographic Drawing, 1800-19OO
MICHAEL GLASMEIER
Der Menzel geht urn! /
Menzel's lurking about!
KARIN GLU DOVATZ
Widerstandiges Material
Zeichnungen aus nationalsozialistischen
Konzentrations- und Vernichtungslagern /
Resistant Material
Drawings from Nazi Concentration
and Death Camps
ALEXANDER ROOB
Sonderzeichner: Ein kurzer Faden durch die
Geschichte der Zeichnungsreportage /
Special Artists: A Short Trip Through the
History of Illustrative Reporting
Katalog / Catalogue